Über Frühgeburten ist man meist eher weniger informiert. Und das obwohl solche Fälle gar nicht einmal so selten vorkommen!
Ich habe mit Dr. med. univ. Linda Pummer gesprochen. Sie arbeitet auf der Neonatologie, ist also Spezialistin für Frühgeburten. Linda schildert uns, wie eine Frühgeburt häufig abläuft und was sich dabei im Körper des Babys abspielt. Die Schlüsselerkenntnis:
Ihr könnt Euch im Fall der Fälle viel Stress ersparen, wenn Ihr Euch mit dem Thema vorher schon auseinandersetzt!
Liebe Linda, wo arbeitest Du denn?
Mein Arbeitsplatz ist die Neonatologie, also die Versorgung von Neu- und Frühgeburten, im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien (kurz: AKH). In der Neonatologie haben wir vier Stationen: Zwei Intensivstationen und zwei IMC (intermediate care) Stationen, in der extreme Frühgeburten und Babys mit Fehlbildung oder herzchirurgischen Eingriffen betreut werden.
Ab wann spricht man eigentlich von einer Frühgeburt?
Frühgeburten sind alle Babys, die vor 37. Schwangerschaftswoche geboren werden. Dann unterteilt man in weitere Stadien: Zwischen der 32. bis 37. Schwangerschaftswoche (SSW) spricht man von vom sogenannten “Late Preterm”, zwischen der 28. und der 32. SSW ist es das “Very Preterm” und vor der 28. Woche das “Extremely Preterm”, also die extreme Frühgeburt.
Wow, das ist ja wirklich sehr früh, wenn man bedenkt, dass Babys im Normalfall in der 40. SSW geboren werden. Ab wann ist ein Frühgeborenes denn überlebensfähig?
Ab der 23. SSW ist ein Neugeborenes in der Regel überlebensfähig, allerdings wird bei einer Geburt innerhalb der 22. bis 23. SSW individuell beurteilt, ob das Kind überleben kann oder nicht. Bei Neugeborenen, die das nicht können, leisten wir comfort care, was soviel bedeutet, wie das Kind beim Sterben zu begleiten.
Wie schwer ist ein Frühchen im Durchschnitt?
Ab der 23. SSW haben die Säuglinge durchschnittlich 500 Gramm. Bei einer normalen Geburt bringt ein Baby im Durchschnitt etwa 3,3 Kilogramm auf die Waage.
Warum kommen Frühgeburten oft per Kaiserschnitt zur Welt?
Meist kommt es zu einer Frühgeburt, wenn ein Risiko für Kind oder Mutter festgestellt wurde. Bei der Mama ist es zum Beispiel möglich, dass sie durch einen viel zu hohen Blutdruck in der Schwangerschaft eine Gefahr auf eine Hirnblutung hat, da muss natürlich gehandelt werden. Eine weitere Möglichkeit kann sein, dass eine Infektion über die Vagina entstanden ist und zu einem frühzeitigen Blasensprung führt. In diesem Fall muss man sofort feststellen, ob das Baby noch genügend Fruchtwasser zur Verfügung hat oder ob es sofort per Kaiserschnitt geholt werden muss. Natürlich handelt man aber auch gleich, wenn das Kind in Gefahr ist – zum Beispiel aufgrund einer Abschnürung der Luftröhre durch die Nabelschnur.
Interessant ist aber, dass Feten im frühesten Stadium schon den Instinkt haben, das meiste Blut automatisch dort hin zu pumpen, wo es gebraucht wird. So wird z.B. bei einer drohenden Sauerstoffunterversorgungautomatisch viel mehr Blut ins Gehirn gepumpt als in den Bauch.
Was passiert denn nach der Geburt eines Frühgeborenen? Also wenn das Kind sich in einem Stadium befindet, dass es auf die Intensivstation muss?
Dort wird es erst einmal so versorgt, dass es stabil ist. Zuerst muss das Baby natürlich atmen. Oftmals ist aber das Problem, dass Frühchenbabys nachdem sie das Licht der Welt erblicken, überhaupt nicht schreien. Dies ist jedoch sehr wichtig für die Lunge. Wenn ein Baby geboren wird und schreit, entweicht das Wasser aus den Lungenbläschen. Wenn dies bei Frühchen nicht passiert, kann die Lunge, eines der wichtigsten Organe, nicht arbeiten, da die Lungenbläschen – auch Alveolen genannt – die für den Gasaustausch zwischen Blut und Alveolarluft zuständig sind, noch nicht ausgebildet – quasi aufgepumpt – sind. Man kann sich das vorstellen wie bei einem Luftballon. Wenn das Baby schreit, füllt sich der Ballon mit Luft und weitet sich aus. So sollte er dann auch bleiben. Doch den frühgeborenen Babys fehlt ein Stoff, der Surfactant genannt wird, um die Form der Alveolen zu halten. Beim Ausatmen fallen die Ballons also wieder in sich zusammen und ziehen sich zusammen. In solchen Fällen ist es wichtig den Frühgeborenen das Surfactant (eine milchig-trübe Flüssigkeit) in die Lunge zu spritzen. Dies ist die Erstversorgung der extrem frühgeborenen Babys. In den meisten Fällen schafft es das Neugeborene im Anschluss selbst zu atmen. Falls das Kind es jedoch noch nicht schafft, wird manchmal eine Beatmung mit einer Maschine notwendig. (Anm.: Um dieser Situation vorzubeugen, wird oft bereits vor der Geburt eine Lungenreifespritze verabreicht.)
Die Frühchen sind ja immer in einem Inkubator, was genau macht der eigentlich?
Der Inkubator sorgt neben der richtigen Temperatur auch gleichzeitig für die richtige Luftfeuchtigkeit. Solch früh geborene Babys brauchen neben einer warmen Temperatur auch einen relativ hohen Feuchtigkeitsgehalt bis sie diese beiden Werte von sich aus selber regulieren können.
Haben zu früh geborene Babys im Laufe ihres Lebens irgendwelche Beeinträchtigungen?
Manchmal haben Frühgeburten Entwicklungsverzögerungen, ja, das ist aber auch sehr von der Schwangerschaftswoche abhängig, in der sie geboren sind. Sehr häufig sind zum Beispiel Darminfektionen oder eine schlechte Entwicklung der Augen, was aber mit dem heutigen Stand der Medizin in Grenzen gehalten werden kann. Stevie Wonder war zum Beispiel eine Frühgeburt. Damals war man mit der Medizintechnik noch nicht so weit und Stevie Wonder ist erblindet. Doch heute kann man zum Beispiel folgendes machen:
Man spricht bei einer Schädigung der Netzhaut bei Frühgeburten von einer Frühgeborenen-Retinopathie, kurz RPM, was Gefäßwucherungen im Netzhautgewebe (Retina) bedeutet. Die Schädigung tritt auf, weil sich durch den Sauerstoff, der dem Baby durch die Beatmung zugeführt wird, solche Wucherungen bilden. Ein Stoff namens VEGF, der als Wachstumsfaktor agiert, verstärkt diese negative Ausbreitung der Wucherungen und verschlechtert das Sehvermögen. Aus diesem Grund kann dem heranwachsenden Baby ein VEGF-Hemmer gespritzt werden, der den Wachstumsfaktor im Auge blockiert. Somit sinkt die Gefahr von schlechten Gefäßneubildungen im Auge und die schon vorhandenen Gefäße hören auf zu wachsen. Dadurch kann das Sehvermögen geschützt werden.
Dürfen die Mamas während dieser Prozeduren und bis zur Entlassung eigentlich bei ihrem Baby im Krankenhaus schlafen?
Das funktioniert bei uns in den meisten Fällen leider nicht, da wir nicht so viele Betten zur Verfügung haben. Wir haben sechs verfügbare Betten für die Eltern frei. Aufgrund der hohen Anzahl an Frühgeburten pro Jahr, ist es leider nicht möglich, jeder Mama ein Bett zur Verfügung zu stellen. Die Eltern kommen tatsächlich täglich ins Krankenhaus, um ihr Kind zu besuchen. Ein paar Tage bevor das Kind entlassen wird, bekommt die Mama ganz sicher ein Bett, um schon mal eine gewisse Routine in dem Umgang mit ihrem Kind zu verinnerlichen.
Wann dürfen zu früh geborene Babys denn nach Hause?
Meist werden die Kinder rund um den eigentlichen Geburtstermin entlassen. Für die Frühchen gibt es zusätzlich eine eigene Nachsorgeambulanz, wo die Kinder, die unter 32 Wochen geboren wurden, bis zum zweiten Geburtstag weiter betreut werden. Dort arbeiten ÄrztInnen, NeuropsychologInnen, die Entwicklungstests durchführen, sowie LogopädInnen und ErgotherapeutInnen, um für eine gute Entwicklung des Babys zu sorgen.”
Denkst Du, es ist von Vorteil, dass man eine gute Versicherung für sein Baby hat?
Definitiv. Vor allem im Falle einer Frühgeburt, wo es auch in der Entwicklungsphase des Kindes Bedarf an verschiedensten Förderungen geben kann, ist eine gute Versicherung sicherlich von Vorteil. Auch wenn man sich darüber natürlich im Moment meist keine Gedanken macht, kann es einem einen langen Rattenschwanz an Ärgerlichkeiten ersparen, sich einmal vor der Geburt gut mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Hast Du abschließend noch einen Tipp für werdende Eltern, die Angst vor einer Frühgeburt haben oder die schon wissen, dass ihr Baby zu früh zur Welt kommen wird?
Meist gibt es in solch Ausnahmesituationen auch psychologische Betreuung für die Eltern. Nehmen Sie diese ruhig in Anspruch. Und scheuen Sie nicht, auch viele Fragen an die ÄrztInnen zu stellen.
Vielen Dank für das nette Interview, liebe Linda!